Nr. 7h
4. Juli 1945
Bericht des Regierungspräsidenten Hermann Brill zur Lage
Bericht über die Lage in Thüringen
Weimar, den 4. Juli 1945
Regierungspräsidium
1. Allgemeines
Am 20. Mai 1945 wurde der Unterzeichnete von dem amerikanischen Generalobersten Hatch, dem Militärregierungsoffizier des VIII. Corps der Armee der Vereinigten Staaten, aufgefordert, einen Plan für die Organisation der Verwaltung Thüringens auszuarbeiten. Die Aufforderung traf mich nicht unvorbereitet. Als Vorsitzender des illegalen Volksfrontkomitees, das sich aus Vertretern der Kommunistischen Partei, der ehemaligen Sozialdemokratischen Partei und der früheren Zentrumspartei im Konzentrationslager Buchenwald gebildet hatte, war ich mit den Aufgaben für den Aufbau einer demokratischen Volksrepublik in Deutschland vertraut. Zum Beweise füge ich den Bericht über die Tätigkeit dieses Volksfrontkomitees bei 1), der von mir nach der Befreiung durch die amerikanischen Truppen am 19. April 1945 ausgearbeitet worden ist. Gemäß den Grundgedanken dieses Berichtes habe ich dem VIII. Corps der Armee der Vereinigten Staaten einen Plan für den Aufbau der Verwaltung Thüringens unterbreitet, der sich mit den geographischen Voraussetzungen, den wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen, den politischen Voraussetzungen, dem jetzigen Stand der Verwaltung, der künftigen Behördensituation, den juristischen Grundlagen, den Finanzen, den Arbeitsplänen und den unmittelbaren praktischen Maßnahmen befaßt. Auch dieser Plan wird diesem Bericht als Anlage 2) beigefügt.
Am 5. Juni hat der Unterzeichnete Herrn Lieutenant-General McCherry im Obersten Hauptquartier in Gegenwart von Oberst Hatch und anderen höheren amerikanischen Offizieren den Plan mündlich vorgetragen und auf Veranlassung von Herrn Oberst Hatch zugleich einen
Gesamtplan für die Neugliederung Deutschlands in Verwaltungsbezirke entworfen. Die amerikanische Militärregierung genehmigte in den folgenden Tagen diesen Plan für den Aufbau der Verwaltung in Thüringen und ernannte mich durch Urkunde vom 9. Juni 1945, die in englischer und deutscher Sprache beigefügt ist (Anlage 3) zum Regierungspräsidenten für Thüringen. Am 13. Juni wurde ich der amerikanischen Militärregierung für Thüringen vorgestellt und von dieser beauftragt, eine Regierung für die Provinz Thüringen zu bilden.
2. Regierungsbildung
Diese Regierungsbildung ist von mir in den nächsten Wochen so vorgenommen worden, daß ich als politische Grundlage eine Konzentration aller antifaschistischen Parteien bildete. Seitens der Kommunistischen Partei wurden von mir in Vorschlag gebracht und von der amerikanischen Militärregierung genehmigt:
Regierungsdirektor Ernst Busse als Vorstand des Landesarbeitsamtes,
Regierungsdirektor Walter Wolf als Vorstand des Landesamts für Volksbildung;
Seitens des Bundes demokratischer Sozialisten (Sozialdemokratische Partei) wurden von mir in Vorschlag gebracht und genehmigt:
Regierungsdirektor Dr. Julius Friedrich Buchwald als Vorstand des Landesamts des Innern,
Regierungsdirektor Dr. jur. Georg Appell als Vorstand des Landesverkehrsamts;
seitens der Deutschen Demokratischen Partei wurden von mir in Vorschlag gebracht und genehmigt:
Regierungsdirektor Leonhard Moog als Vorstand des Landesamts für Finanzen,
Regierungsdirektor Dr. Alfons Gaertner als Vorstand des Landesamts für Industrie, Handel und Gewerbe;
seitens der Christlichen Demokraten (Zentrumspartei) habe ich vorgeschlagen und wurde von der amerikanischen Militärregierung genehmigt:
Dr. phil. Max Kolter als Regierungsdirektor des Landesamts für Land- und Forstwirtschaft.
Sämtliche Ernennungen sind von mir durch Urkunde vollzogen worden, die Urkunde ist den genannten Regierungsdirektoren ausgehändigt; bis auf Regierungsdirektor Dr. Buchwald, der
wegen der Verkehrsschwierigkeiten noch nicht in Weimar eingetroffen ist, haben sämtliche Regierungsdirektoren ihre Ämter übernommen.
3. Personalien
A. Der Unterzeichnete, Regierungspräsident Dr. Hermann L. Brill ist 50 Jahre alt, war ursprünglich Lehrer, studierte später Rechtswissenschaft, politische Ökonomie, Soziologie und Philosophie, war in der thüringischen Staatsverwaltung als Hilfsreferent, Vortragender Rat, Abteilungsleiter und Ministerialdirektor tätig; gehörte 1919/20 der Gothaischen Landesversammlung und 1920 bis 1933 dem Landtag von Thüringen an, 1932 Juli-September auch dem Deutschen Reichstag. Seit 1912 für die sozialdemokratische Presse arbeitend, trat er am 1. Oktober 1918 der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei bei, machte im September 1922 die Vereinigung dieser Partei mit der SPD mit und ist der Verfasser des sogenannten Buchenwalder Manifestes des Bundes demokratischer Sozialisten vom 13. April 1945. Von 1935 bis 1938 arbeitete er illegal für die Bildung einer deutschen Volksfront, er ist der Verfasser des Programms „10 Punkte“ vom Dezember 1936 und der illegalen Schrift „Freiheit“ herausgegeben von der Deutschen Volksfront im Januar 1938. Er wurde am 28. Juli 1939 wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu 12 Jahren Zuchthaus verurteilt, am 21. Dezember 1943 als sogenannter nicht besserungsfähiger politischer Gefangener ins Konzentrationslager Buchenwald gebracht, dort am 11. April 1945 von den Truppen der 1. amerikanischen Armee befreit.
B. Regierungsdirektor Dr. Friedrich Buchwald ist 56 Jahre alt, er studierte Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, später auch noch Handelswissenschaften und legte neben den üblichen juristischen Prüfungen noch die Prüfung als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater ab. Dr. Buchwald war von 1920 bis 1933 erster Bürgermeister von Crimmitschau, wurde 1933 von den Nazis aus seinem Amt entfernt, durch mehrere Straf- und Disziplinarprozesse verfolgt und war in den Jahren 1933 bis 1936 zweimal in sächsischen Konzentrationslagern. Seitdem ernährte er sich kümmerlich mit Steuerberatungen und Wirtschaftsprüfungen. Er ist Mitglied der SPD.
C. Regierungsdirektor Leonhard Moog ist Mitte der 50er Jahre, von Beruf Kaufmann. Er gehört zu den Gründern der freiheitlichnationalen Angestelltenorganisation (Gewerkschaftsbund der
Angestellten, GdA.), deren Gauvorsteher für Thüringen er von 1919 bis 1933 gewesen ist. Moog war 1921 bis 1929 Mitglied des Landtags von Thüringen, längere Zeit auch Mitglied des Stadtrates von Weimar. Außerdem gehörte er dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold an. Er ist Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei.
D. Regierungsdirektor Walter Wolf ist 38 Jahre alt, stammt aus einer proletarischen Familie in Gotha, machte an der Deutschen Oberschule in Gotha das Abiturientenexamen, studierte an der Universität Jena Psychologie und Pädagogik und legte 1931 die Prüfung für akademisch gebildete Volksschullehrer ab. Seitdem in diesem Berufe tätig, wurde er wegen illegaler politischer Tätigkeit 1937 in Untersuchung gezogen, 1937 jedoch vom Gemeinschaftlichen Thüringischen Oberlandesgericht in Jena freigesprochen, trotzdem ins Konzentrationslager Buchenwald gebracht, wo er am 11. April 1945 durch amerikanische Truppen seine Freiheit erlangte. Er war in Buchenwald Mitglied des illegalen Volksfrontkomitees. Mitglied des KDVD seit 1929, der KPD seit 1930.
E. Regierungsdirektor Dr. Alfons Gaertner ist Mitte der 50er Jahre alt, hat sich in der Hauptsache als Vertreter industrieller Organisationen betätigt und gilt deshalb als ausgezeichneter Sachkenner der industriellen Verhältnisse Thüringens. Auf Grund seiner katholischen Weltanschauung schärfster Gegner des Nazismus, wurde er von der NSDAP wiederholt schwer schikaniert, übernahm schon Anfang Mai ds. Jahres ehrenamtlich die Funktion eines Beigeordneten der Stadt Weimar für das Ernährungswesen und das Thüringische Landeswirtschaftsamt. Er ist Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei.
F. Regierungsdirektor Dr. Max Kolter ist etwa 50 Jahre alt, als Werkstudent ganz von unten aufgestiegen, war in der Kommunal- und Wirtschaftsverwaltung tätig, wurde in der nazistischen Diktatur wiederholt gemaßregelt, gehörte schon kurz nach der Befreiung Weimars durch amerikanische Truppen dem politischen Beirat beim Oberbürgermeister der Stadt Weimar an und hat sich seit dem scharf im antinazistischen Sinne betätigt. Er ist Mitglied der Christlichen Demokraten (frühere Zentrumspartei).
G. Regierungsdirektor Dr. Georg Appell ist Ende 40, war ursprünglich Lehrer, studierte später Rechtswissenschaften und macht die üblichen juristischen Prüfungen. Weil er als Rechtsanwalt hauptsächlich Reichskammerangehörige, Sozialdemokraten und Kommunisten in Landfriedensbruchprozessen verteidigte, wurde ihm sofort im Frühjahr 1933 die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft entzogen. In den Jahren 1935 bis zum Kriegsausbruch hat er in hervorragender Weise sich an der illegalen Volksfrontarbeit in Westthüringen beteiligt und während des Krieges mit außerordentlichem Geschick als Personalsachbearbeiter der Industrie einen großen Kreis antinazistischer Arbeiter und Angestellter organisiert. Er war zweiter Gauvorsitzender des Reichsbanners in Thüringen und ist jetzt Mitglied des Bundes demokratischer Sozialisten (SPD).
Bemerkung: Der Unterzeichnete hat die vorstehenden Angaben aus dem Gedächtnis gemacht, da wegen der späten Abendstunde, in der dieser Bericht verfasst wird, ein Zugriff zu den Akten nicht möglich ist. Es mag deshalb die Möglichkeit vorbehalten bleiben, daß exakte Angaben bezüglich des Lebensalters usw. nachgeholt werden können. -
Die amerikanische Militärregierung hatte den Unterzeichneten beauftragt, geeignete Vorschläge für die Ernennung der höheren Beamten der Landesämter der Provinz zu machen. Als solche Landesämter waren gemäß dem genehmigten Plan vorgesehen:
das Landesamt des Inneren
das Landesamt für Finanzen
das Landesamt für Volksbildung
das Landesamt für Industrie, Handel und Gewerbe
das Landesamt für Land- und Forstwirtschaft
das Landesverkehrsamt
das Landesarbeitsamt
Ausserdem sollen in der Dienststelle des Regierungspräsidenten die Hoheits-, Personal- und Justizsachen bearbeitet werden. Nur für diese Dienststelle sind nach der vorgängigen Genehmigung der amerikanischen Militärregierung die Ernennungen der höheren Beamten erfolgt. Die Ernennungen für das Landesamt für Finanzen, für Volksbildung und für das Landesarbeitsamt, für die der amerikanischen Militärregierung ebenfalls Vorschläge unterbreitet worden sind, konnten bisher nicht vorgenommen werden, weil wegen des Wechsels der Souveränität in der Besatzungszone die Genehmigungen nicht mehr erteilt worden sind. Sie werden nunmehr unverzüglich vollzogen.
Für die Übernahme der Beamten von den bisherigen Thüringischen Ministerien, der Preussischen Bezirksregierung in Erfurt und den übrigen Behörden auf die Provinz ist eine Beamtenübergangsverordnung beschlossen worden, die als Anlage 4) beigefügt wird.
4. Reinigung der Verwaltung von nazistischen Elementen
Für die Reinigung der Verwaltung von nazistischen Elementen hat der Unterzeichnete die als Anlage 5) beigefügten Richtlinien ausgearbeitet. Von ihnen hat nur der Abschnitt I über die Behandlung der sogenannten „alten Kämpfer“ die Genehmigung des amerikanischen Stadtkommandanten für die Stadt Weimar gefunden.
Infolgedessen sind die Verhältnisse in dieser Frage in der neuen Provinz außerordentlich verschieden und von örtlichen Zufällen abhängig. Es besteht deshalb in der öffentlichen Meinung eine außerordentliche Unzufriedenheit. Ich bitte deshalb aufs Dringendste, alsbald nach diesen Richtlinien verfahren zu dürfen, damit endlich die nazistischen Elemente aus der öffentlichen Verwaltung entfernt werden können. Gemäß der mir heute mündlich erteilten Ermächtigung des Vertreters des Oberkommandos der russischen Besatzungstruppen werde ich bereits morgen mit dem Vollzug des Teils I über die Behandlung der „alten Kämpfer“ beginnen.
5. Geleistete Arbeiten.
Gemäß eines besonderen Auftrags der amerikanischen Militärregierung hat der Unterzeichnete den Stadtvorstand der Landeshauptstadt Weimar, den Vorstand des Landkreises Weimar und die Polizei der Stadt Weimar auf Grund der ausgearbeiteten Pläne reorganisiert.
Der Stadtvorstand der Landeshauptstadt Weimar setzt sich zusammen aus Oberbürgermeister Dr. Fritz Behr, einem 1933 entlassenen Studiendirektor, 1944 bis 1945 politischer Schutzhäftling in Buchenwald, demokratischer Sozialist, Bürgermeister Fleisch, 1933 entlassener berufsmäßiger Bürgermeister, Arbeitsstrafgefangener der Gestapo, demokratischer Sozialist; Beigeordneter Mitter für das Bauwesen, Kommunist, wegen Vorbereitung zu Hochverrat verurteilt zu 4 Jahren Zuchthaus; Beigeordneter für das Wohnungswesen Schuster, wegen Vorbereitung zum Hochverrat verurteilt und ehemaliger politischer Schutzhaftgefangener in Buchenwald, Kommunist; Beigeordneter für das Arbeitsamt Schwarz, Gewerkschaftler und ehemaliger Sozialdemokrat; Beigeordnete für das Wohlfahrtsamt: Elisabeth Zajac-Frölich, Jungsozialistin; ehrenamtlicher Beigeordneter für das Wirtschafts- und Ernährungsamt Dr. Gaertner, Demokrat.
Der Vorstand des Landkreises Weimar wurde gebildet aus Dr. G.H. Dreykorn, sogenannter jüdischer Mischling, deshalb 1933 wenige Monate vor dem Assessorenexamen gemaßregelt; Beigeordneter Faust, 1933 als Rektor der freien weltlichen Schule in Neukölln entlassen, 1925 bis 1929 Mitglied der Berliner Stadtverordnetenversammlung, SPD.; Beigeordneter Sonntag, Kommunist; Beigeordneter Dr. med. Heinemann, parteilos.
Die Polizeidirektion der Stadt Weimar wurde durch Amtsenthebung von rd. 30 nazistischen Polizeibeamten und durch Entlassung von etwa ebensoviel nazistischen Reserve- und Hilfspolizisten gesäubert und durch Einstellung von etwa 50 ehemaligen politischen Schutzhaftgefangenen aus dem Konzentrationslager Buchenwald als Polizeioffiziere (die Kameraden waren größtenteils Milizoffiziere im spanischen Bürgerkrieg), Haupt- und Oberwachtmeistern, Kriminalinspektoren und Kriminalsekretären sowie zuverlässigen Polizeiverwaltungsbeamten für einen einwandfreien antinazistischen Polizeiapparat umgebaut.
Gleiche oder ähnliche Maßnahmen sind mit großer Energie von den Oberbürgermeistern bzw. Landräten in Altenburg, Gera, Greiz, Gotha, Eisenach, Suhl, Schmalkalden und Sonneberg durchgeführt worden. Da die Provinzregierung erst seit etwa drei Wochen im Amt ist, fehlt zur Zeit noch ein alle Einzelheiten umfassender Einblick in die Verhältnisse, jedoch kann z.B. berichtet werden, dass von den 107 Landgemeinden des Landkreises Weimar bereits über 80 mit antinazistischen Bürgermeistern besetzt worden sind, und durch die persönliche Initiative des Unterzeichneten mit Hilfe der amerikanischen Militärregierung die anfangs von den amerikanischen Kommandanten tolerierten nazistischen Bürgermeister in Pößneck (17000 Einwohner) und Lauscha (6500 Einwohner) durch Kommunisten ersetzt worden sind. Der Unterzeichnete beabsichtigt, alsbald nach Beendigung der Organisation der Landesämter hier allgemeine durchgreifende Maßnahmen durchzuführen. Auch soll nicht verschwiegen werden, daß sowohl in den bisherigen Ministerien als auch bei der Preußischen Bezirksregierung in Erfurt durch eine größere Anzahl von Zwangspensionierungen freie Bahn geschaffen worden ist.
Von den geleisteten Arbeiten ist besonders die Tätigkeit der Stadtvorstände in Weimar und Ohrdruf zur Liquidierung der dortigen Lager hervorzuheben.
Das berüchtigte Rasseamt in Weimar und Jena ist durch Überwindung dreifacher Widerstände von dem Unterzeichneten aufgelöst worden.
In Bezug auf die Ernährung sind weitreichende Sicherungsmaßnahmen durchgeführt worden.
Auf dem Gebiete der Wirtschaft wurde ein Treuhänder für das beschlagnahmte Nazivermögen und zur Erfassung aller Ausweichlager bestellt; der Naziverwaltungsrat der Thüringischen Staatsbank ist durch einen antinazistischen Beirat abgelöst worden.
Die Stellen der Präsidenten der Wirtschaftskammer, der Industrie- und Handelskammer sind durch Antinazisten besetzt worden. Das gemeinnützige Wohnbauunternehmen Gagfah wird in den nächsten Tagen einen neuen Aufsichtsrat und einen neuen Vorstand erhalten. Die Zellwoll-AG. in Schwarza hat eine neue Leitung erhalten.
Auf dem Gebiete der Sozialpolitik ist auf die Initiative des Unterzeichneten hin noch unter der amerikanischen Besatzung mit der Bildung der Gewerkschaftsfragen begonnen worden; das Landesarbeitsamt hat zu diesem Zweck eine besondere Abteilung für Berufsverbände erhalten, die von einem ehemaligen Gewerkschaftler geleitet wird, der wegen Vorbereitung zum Hochverrat 6 Jahre im Zuchthaus und 2 Jahre im Konzentrationslager gewesen ist.
6. Arbeiten in Vorbereitung.
Der Entwurf einer Landesverwaltungsordnung hat bereits die erste Lesung des Regierungskollegiums passiert; er wird z.Zt. von den Landesämtern geprüft und kann in der nächsten Sitzung verabschiedet werden. Über die Geschäftsverteilung zwischen den Landesämtern ist bereits Beschluß gefaßt, z.Zt. wird die Reinschrift einer Verordnung über
diese Materie hergestellt. Die Geschäftsordnung für das Verfahren der Landesämter befindet sich ebenfalls in der Reinschrift.
Zur Lösung der sogenannten Judenfrage ist ein besonderes Sekretariat eingerichtet worden, nach einer Erkundungsfahrt nach Theresienstadt sind drei große Rücktransporte nach Thüringen durchgeführt worden. Zur Zeit werden die noch fehlenden Juden in den Stadt- und Landkreisen ermittelt, die Rückführung des Restes wird voraussichtlich in der nächsten Woche stattfinden.
7. Thüringen-Ausschuß
Von besonderer Wichtigkeit erscheint dem Unterzeichneten Berichterstatter im gegenwärtigen Augenblick die Legalisierung des Thüringen-Ausschusses, der unter der amerikanischen Besatzung auf meine Initiative hin geschaffen und nur toleriert worden ist. Es handelt sich dabei um eine aus je drei Mitgliedern der Kommunistischen, ehemaligen Sozialdemokratischen, Demokratischen und Christlich Demokratischen Partei bestehende politische Vertretung, die gegenüber der Regierung der Provinz beratende und kontrollierende Funktion ausübt. Vorsitzender des Thüringen-Ausschusses ist Schulrat Johannes Brumme, ehemaliger politischer Schutzhäftling von Buchenwald, Kommunist; Sekretär des Thüringen-Ausschusses, Herr Müller, Mitglied der Christlich-Demokratischen Partei. Nach den heutigen Erklärungen des Vertreters des Oberkommandos der russischen Besatzungstruppen bestehen gegen die Legalität des Ausschusses keine Bedenken mehr, ich beabsichtige deshalb ihn sobald wie möglich in einen Landesrat für die Provinz umzuwandeln.
8. Territoriale Maßnahmen
Der Provinz Thüringen waren bei der bisherigen Regelung der Besatzungszonen die westsächsischen Grenzkreise, im Bezirk des VIII. Corps der Armee der Vereinigten Staaten zur Verwaltung zugewiesen worden, ich bitte, diese Bezirke nunmehr der Provinz Thüringen wieder abzutrennen und sie dem ehemaligen Freistaat Sachsen zurückzugeben. Die Provinz würde dann endgültig aus dem ehemaligen Freistaat Thüringen, dem ehemaligen preußischen Regierungsbezirk Erfurt und dem Kreise Schmalkalden bestehen.
Innerhalb der Provinz habe ich eine erste Verordnung zur Kreiseinteilung erlassen, die ich als Anlage 6) beilege. Weitere Verordnungen in bezug auf die Zusammenlegung von Landkreisen,
Zusammenlegung von Gemeindebezirken, Eingemeindungen und Bildung von Bezirksgemeinden sollen folgen. Ich bitte, dazu besondere Vorlagen machen zu dürfen.
Außerdem ist es außerordentlich wünschenswert, daß alsbald eine endgültige Bestimmung der Nordgrenze der Provinz gegenüber den Kreisen Zeitz, Weißenfels, Querfurt und Eckartsberga stattfindet.
Ich verweise dabei auf die Ausführungen auf Seite 3 und 4 meines Planes für den Aufbau der Verwaltung Thüringens und bitte, auch hier zur Regelung der Einzelheiten noch besondere Vorschläge machen zu dürfen.
Zum Schlusse spreche ich die Bitte aus, die Zusammenarbeit mit dem Oberkommando der russischen Besatzungstruppen bzw. der Kontrollkommission für die deutsche Zivilverwaltung in der russischen Besatzungszone, wenn möglich so zu organisieren, daß jedes Landesamt der Provinz Thüringen einen Fachkontrolloffizier erhält, der mit dem Regierungsdirektor des betreffenden Amts zusammenarbeitet und außerdem bei der Präsidialkanzlei des Regierungspräsidenten das Amt eines Vorsitzenden des Kollegiums dieser Kontrolloffiziere eingerichtet wird. Sollte jedoch jetzt bereits eine feste Organisation für die Ausübung der Kontrollbefugnisse gegenüber der Zivilregierung in der Provinz bestehen, so bitte ich, mir baldmöglichst darüber eine Mitteilung zukommen zu lassen, damit die Aufbauarbeiten für die Provinz ungesäumt weitergeführt werden können.
gez. Dr. Hermann Louis Brill,
Regierungspräsident.
Quelle: Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar, Land Thüringen - Büro des Ministerpräsidenten , Nr. 1078, Bl. 20r-28r (92r-100r) (ms. Ausfertigung).