07l) Bericht des Regierungsrates Karl Schultes an Landespräsident Rudolf Paul über die Lage in Nordhausen
Nr. 7l
17. Juli 1945
Bericht des Regierungsrates Karl Schultes an Landespräsident Rudolf Paul über die Lage in Nordhausen
Dr. S c h u l t e s
Weimar, den 17. Juli 1945
Regierungsrat.
B e r i c h t
über die Lage in Nordhausen am Harz.
Der antifaschistische Ausschuß in Nordhausen hat dem Herrn Regierungspräsidenten in einer Besprechung am 12. ds. Mts. einen Bericht über die Lage in Nordhausen gegeben, dem ich im Auftrage des antifaschistischen Ausschusses in Nordhausen folgendes hinzufüge:
Die Bevölkerung der Stadt Nordhausen ist durch die Ereignisse Anfang April in dreifacher Weise schwer geschädigt worden:
Das schwere Bombardement der Amerikaner am 3. und 4. April
zerstörte den Stadtkern vollständig einschließlich aller öffentlichen Gebäude (mit Ausnahme von Landratsamt, Kreissparkasse und Finanzamt), aller Schulen und der meisten Kirchen. Schätzungsweise sind bei dem Bombardement über 10 000 Menschen
ums Leben gekommen, d.h. ein Drittel der Bevölkerung der Stadt.Bei der Öffnung der großen Konzentrationslager, welche sich bei den Mitteldeutschen Werken in Niedersachswerfen befanden,
wurde von dem amerikanischen Military Government der restliche Teil der Stadt und der restliche Teil der Bevölkerung 8 Tage lang den KZ-Insassen zur Plünderung freigegeben.
Für die Stadt Nordhausen wurden Strafrationen festgesetzt, die unter den Rationen anderer Städte lagen.
Infolge dieser außergewöhnlichen Umstände hat sich die Stimmung der Bevölkerung, insbesondere der Arbeiterschaft, außerordentlich radikalisiert. Leider ist der sozialdemokratische, von den Amerikanern eingesetzte Bürgermeister F l a g m e y e r,
am 14. Juni 1945 zurückgetreten, weil er mit dem Military Government Schwierigkeiten hatte. Gegen Flagmeyer werden schwere Vorwürfe erhoben. Es wird ihm nachgesagt, daß er, der von Beruf Bauunternehmer ist, den Wiederaufbauplan sabotiert un ihn mit Privatgeschäften in Verbindung gebracht habe. Von Seiten der kommunistischen Partei wird Flagmeyer aufs Schärfste abgelehnt, weil er es während seiner Amtstätigkeit unterlassen hat, mit dem antifaschistischen Ausschuß die nötige Fühlung aufzunehmen. Infolge bürgerlicher Machenschaften wurde der Bürgermeister S e n g e r aus Naumburg (Deutsche Volkspartei) als Nachfolger Flagmeyers von den Amerikanern bestellt.
Senger läßt jede Aktivität vermissen. Bei der radikalen Stimmung in Nordhausen müssen scharfe antinazistische Maßnahmen durchgeführt werden, insbesondere hinsichtlich des Arbeitseinsatzes, der Aufräumungsarbeiten und der Wiederankurbelung der Industrie und des Handwerks. Es müssen die Hilfskräfte des Kreises Grafschaft Hohenstein eingesetzt weren, insbesondere die in den von den Nazis erbauten großen Werken in Niedersachswerfen und Rottleberode noch langernden Materialien und Werkzeuge. Es müssen schließlich aus der weiteren Umgebung Hilfsquellen an Baustoffen eröffnet weren, z.B. Ziegel, Teerpappe, Glas, Fenster und Türen herangeschafft werden, damit zunächst die dringlichsten Arbeiten erledigt werden können, in
erster Linie die Wiederherstellung und Bedachung der nur wenig angeschlagenen Gebäude. Anderenfalls ist zu befürchten, daß durch die starken Regengüsse des Sommers und herannahenden Herbstes auch noch ca. Tausende von Wohnungen zerstört werden. Die Untätigkeit des Bürgermeisters Senger und seine Inkonsequenz den Nazis gegenüber wächst sich immer mehr zu einem öffentlichen Skandal aus. Senger wir vom sowjetrussischen Stadtkommandanten entschieden abgelehnt. Er steht auf dem Standpunkt daß für Nordhausen nur ein sozialist[ischer]
Bürgermeister, mindestens aber ein entschiedener und aktiver Antifaschist in Frage kommt. Die Kommunisten beabsichtigen nun, Senger abzusetzen und einen eigenen Mann in Vorschlag zu bringen, der aber nicht über die für Nordhausen erforderliche Verwaltungserfahrung verfügt,
sodaß weitere Schwierigkeiten und Unstimmigkeiten zu besorgen sind.
Ich bin beauftragt, folgende Vorschläge zu machen:
Der Herr Regierungspräsident ersucht den Bürgermeister Senger um einen sofortigen Bericht hinsichtlich des Schadensumfanges in Nordhausen sowie der von ihm und seinem Vorgänger bisher getroffenen und der geplanten Maßnahmen.Das Regierungskollegium ernennt sofort einen Regierungsbeauftragten für Nordhausen, der die Aufgabe hatin regelmäßigen Abständen mitt dem antifaschistischen Ausschuß in Nordhausen, dem Bürgermeister und dem Landrat zu verhandeln und die einzelnen Maßnahmen, welche zum beschleunigten Wiederaufbau zu ergreifen sind, zu besprechen,den engsten Kontakt zwischen der Stadt Nordhausen und dem Regierungspräsidenten herzustellen und über die Lage und über den Stand der Maßnahmen dem Regierungskollegium laufend zu berichten,in Zusammenarbeit mit dem Landesamt des Innern und dem Landesamt für Industrie, Handel und Gewerbe Hilfsmaßnahmen für Nordhausen vorzubereiten und durchzuführen.