07m) Schreiben des Jenaer Oberbürgermeisters Heinrich Troeger an Landespräsident Rudolf Paul über die Probleme russischer Besatzung
26. Juli 1945
Schreiben des Jenaer Oberbürgermeisters Heinrich Troeger an Landespräsident Rudolf Paul über die Probleme russischer Besatzung
den 26.VII.45
Dr. Tr./v.Sn
An den Herrn
Regierungspräsidenten in
W e i m a r
Betr.: Russische Besatzung.
Es wäre überflüssig, Ausführungen über die Tatsache wiederholter Eigenmächtigkeiten russischer Soldaten und Offiziere, über die ungewöhnlich einschneidenden und oft sehr kurzfristigen Massnahmen in der öffentlichen Stadtverwaltung, über Anforderungen von Material und Arbeitskräften, Nahrungsmitteln und Ausstattungsstücken und über all solche Massnahmen seitens der Angehörigen der Roten Armee oder der Besatzungsstellen zu machen, die von der Bevölkerung aber auch von der Verwaltung zum Teil als unsachlich, zum Teil als übermässig scharf, zum Teil aber auch als unzweckmässig und schädigend empfunden werden. Schon bei anderer Gelegenheit habe ich darüber berichtet, dass am 16.VII.1945 unvorbereitet und ohne Angabe von Gründen 49 Polizeibeamte verhaftet und weggeschafft worden sind. Vor einigen Tagen mussten die Polizei und das Polizeiverwaltungsgebäude schnellstens geräumt werden, obgleich gerade die Polizeiverwaltung für die Zwecke der Besatzung dauernd und zum Teil über alle Gebühr in Anspruch genommen wird. Vorher war die städtische Hauptverwaltung durch schleunigen Umzug vom Generalkommando in das Wehrmeldeamt für mehrere Tage praktisch lahm gelegt. Mit diesen Umzügen ist der Verlust von grossen Mengen von
Ausstattungsstücken verbunden, sodass es immer schwieriger wird, die anderweits unterzubringenden deutschen Behörden mit Möbeln auszustatten, zumal grosse Mengen von Möbeln, auch von solchen aus Privatbesitz, die nach ausdrücklicher Zusicherung für wenige Tage leihweise zur Verfügung gestellt werden sollten, abtransportiert worden sind.
Der Rektor der Unveristät klagt immer wieder, dass Eingriffe in seinen Betrieb vorkämen. Vor einigen Tagen haben sich russische Soldaten mit deutschen Frauen im Physikalischen Institut eingerichtet. Das Versuchsgut Kötschau musste russische Besatzung aufnehmen, die wenig sorgsam und sparsam mit den anfallenden landwirtschaftlichen Produkten umgehen. Es wurde mir sogar berichtet, dass entrahmte Frischmilch zur Fütterung von Schweinen verwendet wird. Der Wiederaufbau der Universität stösst auf Schwierigkeiten, weil Institute und Anstalten besetzt gehalten werden.
In die Löbstedter Kaserne ist vor einigen Tagen ein Truppenteil eingezogen, obgleich ich dem Quartiermeister erklärte, dass diese Kaserne vorgesehen ist zur Unterbringung des physikalisch-technischen Institutes aus Berlin-Charlottenburg, das zurzeit nach Weida evakuiert ist. Auch mein Hinweis darauf, dass gerade von den Zentralstellen der russischen Besatzungsarmee diese Verlagerung nach Jena im Anschluss an die Universität gewünscht wird, machte keinen Eindruck, obgleich es möglich gewesen wäre, die Truppen in einer anderen Kaserne unterzubringen.
Besonders störend ist auch die Tatsache, dass laufend Beamte für geringfügige Angelegenheiten persönlich zu jeder Tageszeit und oft für lange Stunden in Anspruch genommen werden. So hat der Unterzeichnete gestern von Vormittag 11 Uhr 30 bis Nachmittag 18 Uhr 30 mitwirken müssen an der Schliessung der hiesigen Bankanstalten, bis er sich schliesslich durch einen jüngeren Herrn ablösen lassen konnte. Die Schliessung der Banken war eine einfache, zum grösseren Teil mechanische Tätigkeit und Aufstellung von Posten, sowie Versiegelung von Tresorräumen. Trotzdem legte der Herr Stadtkommandant, ein Major, auf die persönliche Anwesenheit und Mitwirkung des Oberbürgermeisters Wert.
Wenn ich auch hoffe, dass durch die Einrichtung einer zweckmäsxsig besetzten Verbindungsstelle zwischen der städtischen Hauptverwaltung und der russischen Kommandantur eine gewisse Entlastung der Dienststellenleiter von Angelegenheiten der Besatzungsmacht eintreten wird, die keine persönliche Entscheidung oder Mitwirkung durch sie erfordern, so bin ich doch davon überzeugt, dass, jedenfalls im Stadtkreise Jena, zwei Voraussetzungen erfüllt sein müssen, wenn eine fühlbare Erleichterung gegenüber dem jetzigen Zustand eintreten soll, nämlich:
Die Bestellung eines höheren Offiziers, nach Möglichkeit im Range eines Generals zum Stadtkommandanten für Jena und den Landkreis Stadtroda mit dem Sitz in Jena.die allgemeine Anweisung an die zuständigen Stellen der Besatzungsmacht durch den Herrn Gouverneur für Thüringen, dass sich die Offiziere und Besatzungsstellen nur in Ausnahmefällen an die Oberbürgermeister, Landräte und sonstigen Dienststellenleiter persönlich wenden dürfen, sondern im allgemeinen sofort die sachliche zuständigen Beamten in Anspruch nehmen sollen.
Die praktische Erfahrung hat gelehrt, dass selbst schriftliche Anweisungen des Herrn Stadtkommandanten in Jena, der bisher stets den Rang eines Majors hatte, von Offizieren gleichen oder gar höheren Ranges beiseite geschoben und in einzelnen Fällen sogar vernichtet werden. Dagegen höre ich von anderer Seite, dass die Autorität eines Generals sich sofort günstig im Interesse der sachlichen Verwaltung und der persönlichen Disziplin ausgewirkt hätte. Ich glaube, dass Jena gross genug ist und eine entsprechende Bedeutung hat, um einen Stadtkommandanten, der den Rang eines Generals hat, zu rechtfertigen. Auch die Tatsache, dass bei der Firma Zeiss ein besonderer Werkkommandant sitzt, lässt einen Stadtkommandanten mit höherem Rang erforderlich erscheinen, weil die Möglichkeit und gebotene Zusammenarbeit zwischen der Stadtverwaltung und der Firma Zeiss, z.B. in Fragen des Arbeitseinsatzes und der Bereitstellung von Fahrzeugen, durch den Werkkommandanten in letzter Zeit empfindlich gestört worden ist.
Die Tatsache, dass sowohl von Offizieren wie auch von einfachen Soldaten der Oberbürgermeister von Jena immer wieder, auch während des Mittagessens oder während der Nachtstunden, persönlich für nichtige Dinge, wie z.B. für die Einquartierung von 10 Mann oder die Beschaffung eines Stempelkissens u. dgl., in Anspruch genommen wird, führe ich darauf zurück, dass die städtische Verwaltung von dem Oberbürgermeister geleitet und daher unter seinem Namen geführt wird. Es müsste von dem Herrn Gouverneur für Thüringen den zuständigen Stellen eindringlich vorgestellt werden, dass die Beschaffung von Lebensmitteln zur Zuständigkeit des Ernährungsamtes, die Beschaffung von Kleidungsstücken zur Zuständigkeit des Wirtschaftsamtes, die Beschaffung von Arbeitskräften zur Zuständigkeit des Arbeitsamtes gehört, und dass daher die Inanspruchnahme des politischen Leiters einer Kommune in solchen Fällen unzweckmässig ist und daher durch den Herrn Gouverneur verboten wird.
Der Oberbürgermeister
Quelle: Stadtarchiv Jena , B III Ia, Nr. 22, n. fol. (ms. Durchschlag).
Allgemeine Daten:
Titel:
07m) Schreiben des Jenaer Oberbürgermeisters Heinrich Troeger an Landespräsident Rudolf Paul über die Probleme russischer Besatzung