13f) Niederschrift des Landespräsidenten Rudolf Paul über die Sitzung des Präsidiums der Landesverwaltung mit dem SMATh-Verwaltungschef Iwan S. Kolesnitschenko
13f
17. Juli 1945
Niederschrift des Landespräsidenten Rudolf Paul über die Sitzung des Präsidiums der Landesverwaltung mit dem SMATh-Verwaltungschef Iwan S. Kolesnitschenko
Verhandlung 17. Juli 1945 abends 21 Uhr,
Anwesend:
1. Generalmajor Kolesnitschenko
Major Wolkow
Major Popoff
2. die Thüringische Landesverwaltung
Präsident Dr. Paul
1. Vizepräsident Busse
2. Vizepräsident Appell
3. Vizepräsident Kolter
Regierungsdirektor Wolf
als Dolmetscher Herr Georg Schneider.
Die Sitzung ist auf meinen Antrag einberufen worden, um dringende Sofortmassnahmen zu treffen. Ich trage vor:
1.) Im wirtschaftlichen Leben Thüringens treten dadurch ausserordentliche Störungen auf, da sich die Kommandobezirke der Kommandanten nicht mit den deutschen Verwaltungsbezirken decken.
Ich schlage vor:
Für jeden Landkreis ist nur ein russischer Offizier der Oberkommandierende. Die Grenzen seines Kommandobezirkes decken sich mit denen des Landkreises. Liegt in dem Landkreis eine Stadt unter einem Oberbürgermeister, so ist der russische Stadtkommandant zugleich der höchste Kommandierende des dazugehörigen Landkreises.
Generalmajor Kolesnitschenko sagt eine Erledigung in diesem Sinne zu.
2.) Den Anforderungen der Roten Armee an Sachlieferungen aus dem Lande kann nur entsprochen werden und deren Erfüllung sichergestellt werden, wenn die Durchführung der Beschlagnahme durch die deutschen Verwaltungsbehörden erfolgt und sogenannte wilde Beschlagnahmen seitens der Armee aufhören.
Vorschlag:
Die russischen Kommandanten stellen ihre Forderungen unter angemessener Fristsetzung bei der jeweils zuständigen Verwaltungsbehörde, und zwar an
Lebensmitteln,
Industrieprodukten,
Automobilen,
Wohnraum und Wohnungsausstattung.
Generalmajor Kolesnitschenko sagt Erledigung in diesem Sinne zu.
3.) Die thüringische Landwirtschaft und Industrie sowie der Verkehr lebenswichtiger Güter in dem [von] Eisenbahnverkehr nur schwach erschlossenen Gebiete des Thüringer Waldes sind vor allem bei dem Fehlen jeglicher Wasserverbindungen in Thüringen von der Bereitstellung notwendiger Mengen an Benzin und Dieseltreibstoff abhängig. Beides ist in reichlichen Mengen in der Brabag bei Zeitz erhältlich. Der Stadt- und Landkreis Zeitz mit der dort befindlichen Brabag gehört zur Provinz Sachsen. Diese Provinz besitzt ausser dieser Brabag in den Leuna-Werken und in anderen Betrieben in der Weissenfelser Gegend anderweit grosse Filtrierwerke. Sie kann also leicht ohne die Brabag auskommen. Vorschlag:
Thüringen erhält im Austausch seines Bezirkes Allstedt an die Provinz Sachsen von dieser den Stadt- und Landkreis Zeitz. Der Präsident des Landes Thüringen wird in Zusammenarbeit mit einem Vertreter der Roten Armee bevollmächtigt, die Brabag-Werke wieder zum vollen Ausstoss an Benzin zu bringen, wobei 40 % des Ausstosses der thüringischen Industrie und Landwirtschaft zufliessen sollen.
Ich hebe des weiteren hervor, dass die ausserordentlich stark bevölkerte Zone Zeitz schon bisher von Thüringen hier mit Lebensmitteln unterstützt wird, dass Stadt- und Landkreis Zeitz von thüringischen Ländern zu 3/4 umschlossen ist, dass seine Industrieinteressen nach Thüringen laufen und dass demzufolge die Zuschlagung dieses Kreises nicht nur eine Korrektur der geraden Linie, sondern zugleich die Schliessung eines wirtschaftlichen Ringes bedeutet.
Herr Generalmajor Kolesnitschenko wird die Angelegenheit, die ich bereits zu wiederholten Malen Herrn Generaloberst Tschuikow als besonders vordringlich vorgetragen habe, Herrn Marschall Shukow, dessen Adjutanten ich sie gleichfalls schon einmal vortrug, zum Vortrag und zur Entscheidung bringen. Andernfalls muss ein Weg gesucht werden, dass die für Thüringen benötigten Betriebsstoffmengen aus der Brabag zum Abtransport nach hier kommen.
4.) Ich weise darauf hin, dass die Ernährungswirtschaft in Thüringen sowie dessen Befriedung durch lokal durchgeführte Evakuierungsmassnahmen verschiedener Ortskommandanten gefährdet werden. Die Demarkationslinie an der Werra-Linie ist geschlossen, die Mulde-Linie ist zeitweise geöffnet. So ist es gekommen, dass 30 000 Frauen und Kinder tagelang im Regen im Freien gelegen haben und dann wieder zurücktransportiert werden mussten.
Vorschlag:
Bis zur Öffnung der Demarkationslinie sind örtliche Evakuierungsmassnahmen verboten. Ihr Wiederbeginn wird von der russischen Militärverwaltung für Thüringen bestimmt.
Herr Generalmajor Kolesnitschenko weist darauf hin, dass an sich ein Befehl besteht, die Polen zum Abtransport nach dem Osten zu bringen. Ich lege ein Eisenbahntelegramm vor, aus dem das Abstoppen solcher polnischer Transportzüge damit begründet wird, dass seitens der russischen Militärischen Administration in Berlin ein derartiger Abtransportbefehl nicht vorliege. Auf jeden Fall bestehen z.Zt. Unklarheiten. Ich weise darauf hin, dass durch solche auf der Strecke oder in Städten stehen bleibenden Züge die Plünderungen ausserordentlich unterstützt werden, und dass beispielsweise durch das Eindringen solcher polnischer Evakuierten in einen Munitionszug, der am Gaswerk Gera abgestellt war, dieses in die Luft geflogen ist.
Herr Generalmajor Kolesnitschenko wird die Angelegenheit im einzelnen untersuchen. Es wird darüber noch einmal gesprochen werden.
5.) Der Eisenbahnverkehr Thüringens ist durch 75 zerstörte Brücken stark in Mitleidenschaft gezogen.
Auf meine Vorfrage, ob es möglich sei, russische Pioniertruppen zur Unterstützung zu erhalten, wird erklärt, dass diese zu anderweiten Arbeiten z.Zt. dringend benötigt werden.
Zu den zerstörten Eisenbahnbrücken kommen noch za. 130 Brücken der Autobahn und der Staatsstrassen 1. Ordnung.
Vorschlag:
Die zum Brückenbau kommenden Fahrzeuge und das dafür benötigte Material dürfen nicht durch lokale Eingriffe gefährdet werden. Sie müssen unter dem besonderen Schutz der russischen Militärregierung stehen.
Generalmajor Kolesnitschenko legt zunächst Wert darauf, bis 18. ds. Mts. eine Aufstellung darüber zu erhalten, welche Bahnlinien im einzelnen zerstört sind, in wie fern sie besonders betriebswichtig sind, und dasselbe bezüglich der Strassen. Ich weise darauf hin, dass gerade bezüglich dieser Reparaturen die Heranschaffung von Betriebsstoff unerlässlich ist. Generalmajor Kolesnitschenko meint, dass die Eisenbahn durch Heranfahren an die reparaturbedürftigen Stellen wesentlich das Material selbst heranfahren kann. Demgegenüber hebe ich hervor, dass grosse Teile dieses Materials, zumindest zuvor, aus dem Thüringer Wald als Holz oder von anderen Lagerplätzen sonst als Eisenträger usw. an die Eisenbahnlinien mit anderen Verkehrsmitteln herangebracht werden müssen.
6.) Das Wiederaufleben der Wirtschaft ist von dem Arbeiten der Post abhängig. Die Post ist nach den mir vorliegenden Informationen in den meisten Postämtern betriebsfähig. Vorschlag:
Die in Thüringen liegenden Postämter haben innerhalb des Landes ihre Tätigkeit sofort wieder aufzunehmen. Generalmajor Kolesnitschenko ist mit der Eröffnung der Post einverstanden. Damit sie in ihrem Betrieb nicht gestört wird, empfiehlt er die Anbringung von Schildern in russischer und deutscher Sprache, dass das betreffende Gebäude eine Post ist. Die alten Marken dürfen nicht verwendet werden, Brief- bezw. Paketaufgabe ist bei dem Anlieferer zur Abstempelung zu bringen und zu bezahlen.
(ich gebe dies fernmündlich an den Postpräsidenten Arendt in Erfurt durch.)
7.) Vorbedingung für einen glatten Ablauf in den Verwaltungsgeschäften des Landes Thüringen ist, dass die Regierungsmitglieder in ihrer Person, ihre Wohn- und Arbeitsräume geschützt sind.
Vorschlag:
Die Regierungsmitglieder sind durch Legitimationsurkunde für sich und ihre Wohn- und Arbeitsräume unter den besonderen Schutz der russischen Militärregierung zu stellen. Generalmajor Kolesnitschenko ist damit einverstanden. Die Regierungsmitglieder werden Personalausweise erhalten, an ihren Amtszimmern bezw. ihren Verwaltungsgebäuden ist ein Schild in russischer und deutscher Sprache anzubringen: Verwaltung des Landes Thüringen.
Generalmajor Kolesnitschenko wünscht Informationen zu folgenden Fragen:
Einwohnerzahl, Städte, Dörfer, Berufe, Beamte, Arbeiter, Industrie, Fabriken, Beschäftigungszweige, Prozentsatz der
Beschäftigten oder Nichtbeschäftigten, wieviel Rohstoffe, wie hoch Produktionskapazität.
Ich gebe es an Oberregierungsrat Dr. Müller, Statistisches Landesamt, weiter.
Des weiteren wünscht er eine Aufstellung über die vorhandenen Vorräte, über das, was fehlt. Grundsatz: die Fabriken sollen anlaufen. Natürlich soll ihre Kontinuität gesichert werden. Erwünscht ist weiter Aufstellung der Statistik über die Landwirtschaft, Betriebsfläche, Getreideboden, Hackfrüchte, Wiese usw. voraussichtlicher Ertrag der Ernte. Des weiteren, wie hoch ist das Bedürfnis der Bevölkerung in der Landwirtschaft in einem Monat, in einem Jahr, das Bedürfnis der Bevölkerung der Industrie an Produkten in einem Monat, in einem Jahr.
Ich gebe es an Herrn Oberregierungsrat Dr. Müller weiter.
Verlangt wird eine Aufstellung über die in Thüringen befindlichen Kurorte und Bäder, Lagebeschreibung, Heilzwecke, Bettenzahl.
Ich bitte Herrn Obersekretär Mahler, diesbezügliches Material heranzubringen.
Die Mitglieder der neuen Landesverwaltung Thüringen sollen bezüglich ihrer Person umrissen werden, Alter, Beruf, politische Richtung.
Im Lande selbst sind alle Bürgermeisterposten durch Antifaschisten zu ersetzen.
Nur insoweit in einzelnen Fällen bei Personen der Intelligenz wirtschaftliche Schwierigkeiten auftreten, soll diesen geholfen werden.
Gewünscht wird ein Bericht über die Massnahmen, die ins Auge gefasst sind, um die Einbringung der Ernte zu sichern, insbesondere auch in den Fällen, in denen der Mann nicht zu Hause ist.
Über die Schule, die Verteilung der Lehrer und alle Massnahmen für die Wiedereröffnung der Schulen, Vorbereitung der Bücher, Vorbereitungskurse für die zukünftigen Lehrer wird Herr Generalmajor Kolesnitschenko mit Herrn Regierungsdirektor Wolf sprechen. Es wird gewünscht Antwort auf die Frage, wie die Verpflegung der Industriestädte für das Land geregelt ist.
Verordnungen sind zu erlassen, dass mehr als bisher in den Städten an der Aufräumung des Schutts gearbeitet wird und dass Häuser, die wieder instand gesetzt werden können, instand gesetzt werden müssen.
Gerügt wird seitens der russischen Militärverwaltung der Zustand in Weimar, insbesondere, dass die Schuttmassen auf den Strassen einer Gauhauptstadt unwürdig sind. Es soll geklärt werden, warum die Stadt noch kein Gas hat.
Besondere Beschwerde geführt wird, dass der Oberbürgermeister von Weimar seine Beauftragten nicht genügend scharf bezüglich Beschaffung und Instandsetzung der russischen Administration in der Curthstrasse beauftragt hat. Seit Tagen sei dort nichts geschehen. Der Generalmajor empfindet es nahezu als Sabotage.
Ich spreche mit dem Oberbürgermeister, der erklärt, der Zustand der Stadt, die Schuttmassen könnten deswegen nicht bewältigt werden, weil es an Brennstoff fehlt, und damit an Autos und Baggern. Ich habe 600 - 700 täglich abends nach Feierabend eingesetzt, die Handwerker selbst würden von den verschiedensten Stellen dringendst benötigt, jede Kommandantur behauptet, die wichtigste zu sein. 1/3 der Häuser von Weimar sei völlig zerstört, 1/3 der Häuser völlig überbelegt, 1/3 der Häuser für die Zivilbevölkerung vorhanden.
[Paul]
Quelle: Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar, Land Thüringen - Büro des Ministerpräsidenten , Nr. 459, Bl. 36r-42r (ms. Ausfertigung).
Allgemeine Daten:
Titel:
13f) Niederschrift des Landespräsidenten Rudolf Paul über die Sitzung des Präsidiums der Landesverwaltung mit dem SMATh-Verwaltungschef Iwan S. Kolesnitschenko